substainable development
2016 | missing link | Künstlerforum Bonn / DE
Kuratorin: Susanne Grube
Fotos: R.H.
"substainable development" temporäres Labor
Die Entwicklung von Leben auf diesem Planeten ist eine seit 3,5 Milliarden währende Geschichte eines einzigen unvorstellbar versatilen Moleküls, der Desoxyribonucleinsäure oder kurz DNA. Der Aufbau aus den vier Elementen, den Nucleotiden mit den Basen Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Tymin (T). In endlos variierten Zusammenstellungen gelten sie als die Grundbausteine des Lebens.
Gedankenskizzen 1983 / 2016
Im Januar 2016 wurde in London die Genehmigung zur Stammzellenproduktion von Misch- Embryonen von Mensch und Tier erteilt. Der Aufwand der Genmanipulation ist immens, die Erfolge waren noch vor 20 Jahren schwer vorstellbar. Forschungen zu den spektakulären Resultaten genetischer Transfers von pflanzlichen in tierische, als auch menschliche in tierische Gene, befinden sich in einem frühen Stadium.
Was für ein faszinierender - höchst tabuisierter- Gedanke, diesen unendlichen Pool an biologischen Bausteinen zu variieren, kombinieren und weiter zu entwickeln. Auch wenn Mutationen zu den Spielformen der darwinistischen Entwicklungen gehören, so werden einzelne Wissenschaftler zwangsläufig in diesem Forschungssegment versuchen, über biologische Grenzen zu gehen, die jenseits ethischer und gesetzlicher Werte hinausgehen …. wie weit, darüber wird man verhandeln. Der Begriff des "Natürlichen" wird über die Cyborg Publikationen, die 1985 Dona Haraway thematisierte, eine Verlagerung erfahren. Ob es sich hier um Zeiträume von 50, 100 oder 400 Jahre handeln wird ist im Grunde unerheblich.
Da unsere Vorstellung von "Natürlichkeit" neben den tradierten Erfahrungen im Environment sowie genetischen Vorgaben auch kulturell geprägt sind, unterliegen die Begriffe der Schönheit, die Einstellungen zur geschlechtlichen Disposition etc. immer wieder Wandlungen.
Die Auswahl, der willkürlich aus dem Internet gescannten Folienbilder, demonstriert nicht zuletzt eine visuelle Verlagerung des Begriffes der Normalität. Sie wurden weder bearbeitet noch verzerrt. “Botox-Lippen, Fettleibigkeit, Silikonvergrößerungen etc. konkurrieren mit Schimären, Dizephalie (Zweiköpfigkeit) aber auch Bildmontagen, die von zahlreichen Kreativen mittels Fotoshop erstellt wurden. Ob es sich um reale Fotodokumente handelt (die meisten) oder um Bildmontagen ist unerheblich. Entscheidend ist die Geschwindigkeit, in der die Gesellschaften zunehmend solche "Extreme“ tolerieren bzw. eine kulturelle Adaptierung stattfindet. In Californien oder Brasilien gehören Schönheits-OPs längst zum live style. Auch hierbei verschieben sich Proportionen und Relationen fließend.
Wenn die wissenschaftliche Produktion - aus einer gewissen Eigendynamik heraus – Chimären, oder z.B. Menschen mit 4 Armen oder 2 Köpfen produzieren wird, so bleibt neben der bedeutenden Frage, ob sich hieraus ein evolutionärer Vorteil ergibt, die zweite, wie lange es dauert, bis ein solches „Produkt“ von den Menschen akzeptiert wird.
Hierbei spielen die Diskussionen von Medientheoretikern eine bedeutende Rolle. Die Geschwindigkeit, in der sich unsere tools zur Kommunikation, Interaktionen etc. weiterentwickeln, hat Konsequenzen die den meisten usern durch den alltäglichen Umgang mit ihren Geräten kaum bewusst ist. Der Informatiker Edward Snowden vermittelte zumindest eine Ahnung wie bedeutend die persönliche Verfügbarkeit über die eigenen Daten sein wird.
Die breite Einführung von Google Glass scheiterte unter anderem an der fehlenden Akzeptanz der Bevölkerung. Google hat als nächsten Schritt bereits das Patent für eine weitaus diskretere Technik, in Form einer Kontaktlinse erworben. Es steht jedoch zu erwarten dass es sich lediglich um ein Zwischenstadium der Entwicklungen handelt. Erklärtes Ziel ist ein transplantierter Chip im menschlichen Körper, ein sogenannter hirn booster.
Das Münchner Max-Planck-Institut für Biochemie forscht seit 1985 an der Schnittstelle zwischen Neuron und Computerchip. Wo die Entwicklung hingehen wird, deuten gegenwärtig Versuche mit Affen an. Forscher platzierten Elektroden in dem Teil des Hirns, der die Muskelbewegung erzeugt und leiteten die von dort ausgehenden elektrischen Signale ab. Auf diesem Weg konnten die Tiere allein Kraft ihrer Gedanken einen Roboterarm steuern, einen Rollstuhl oder einen Computer. Die Wissenschaftler sind zuversichtlich, dass es gelingt, diese Technik auf den Menschen zu übertragen.
Noch ist man sehr weit von den Utopien entfernt, dass wir mit Hilfe eines USB-Sticks sämtliche aufgespielten Sprachen beherrschen, oder auf Anhieb Klavier spielen können. Eins der schwierigsten Probleme scheint die Wärmentwicklung der Ströme. Unser Gehirn würde praktisch gekocht.
Wird dieses Problem eines Tages gelöst und unser Gehirn "zubereitet", wird eine Verknüpfung mit dem Internet, Clouds, social medias etc. zwangsläufig. Alleine um den Fortschritt der Entwicklungen upzudaten.
Bereits ein simpler Virus hätte fatale Folgen, weil man uns nicht einfach abschalten - löschen und neu aufspielen kann. Per Definition sind wir aber längst Cyborg "Humanrechner"
Interdisziplinäre Projekte zwischen Neurologen und Medientheoretikern könnten folglich zu dem Schluss kommen, dass 2 unabhängig voneinander funktionierende Gehirne sinnvoll wären. Man denkt unwillkürlich an sicherheitsrelevante Einrichtungen, die mit verschieden Systemen operieren. Selbst der interne PC eines Arztes mit den Patientendaten sollte nicht zwangsläufig mit dem Internet verbunden sein.
Die Zeiträume in denen unser zukünftiges Leben- besser das unserer Kindeskinder - mit solchen Wesen gestaltet werden, sind entscheidend für die Anpassung und Entwicklung neuer ethischer Strukturen und Gesetze. Es wird sich wahrscheinlich für die meisten um einen unmerklichen Prozess mit fließenden Grenzen handeln.
Definitionen und Begrifflichkeiten über Leben und Schöpfung die sich über Jahrtausende aus den verschiedenen Kulturen und Religionen dieser Erde entwickelten und teilweise heute als "wissenschaftlicher Konsens" gelten (homo sapiens sapiens) werden nicht mehr umfassend gelten können, vielleicht unbrauchbar.
Selbst simpel erscheinende, klar definierte Gesetze und Tabus, wie sie das Töten anderer Menschen in allen Kulturen regeln, werden immer wieder individuell oder organisiert (Massaker) gebrochen.
Dies wird neben den komplexen, durch die Wissenschaft zu überwindenden Probleme die eigentliche Herausforderung: Eine neue "Ethik der Schöpfung" des Schöpfens mit internatio-nalen, moralischen, sozialen und politischen Kontrollen, die von den verschiedensten Gesellschaften, Religionen und Kulturen getragen wird. ..Eine wahrlich spannende, utopische Angelegenheit.
Rolf Hinterecker 1983..aktualisiert 2016
missing link participating Artists:
Aljoscha, Ute Bartel, Tine Bay Lührssen, Judith Ganz, Cornelia Genschow, Philip Gondecki, Jürgen Gromoll, Ilka Helmig, Annette Konrad-Breme, Isabel Oestreich, Alexander Schneider, Lukas Thein.